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Datacenter-Abwärme:

Pilotprojekte am Hotspot Frankfurt am Main

Nach einem aufsehenerregendem Pilotprojekt, der Beheizung des Neubaugebietes „Franky“ im Frankfurter Stadtteil Gallus durch Telehouse Deutschland, hat sich nun auch Wettbewerber Digital Realty daran gemacht, seine Abwärme für die Beheizung von Büro- und Wohnräumen anzubieten. Auf dem ehemaligen Neckermann-Areal, dem heutigen Digitalpark Fechenheim, soll mithilfe von drei Großwärmepumpen die anfallende Abwärme eines der drei luftgekühlten Bestandsrechenzentren auf ein verwertbares Temperaturniveau angehoben werden. Dabei tritt der Colocateur vor allem als Wärmelieferant für ein benachbartes Unternehmen auf.

Großwärmepumpe_Digital Realty

Foto: Digial Realty

Schlüsseltechnologie: Großwärmepumpen.

„Wir haben im September 2025damit begonnen, die Wärmeversorgung von rund 30.000 Quadratmetern Fläche des benachbarten Immobilienunternehmens OSWE aus der Abwärme eines unserer luftgekühlten Bestandsrechenzentren in der Praxis zu realisieren. Die Endausbaustufe mit Aufnahme der vollständigen Wärmeversorgung ist für das Frühjahr 2026 vorgesehen“, sagt Frank Weißenbacher, Finance Director DACH bei Digital Realty. Insgesamt drei hintereinandergeschaltete Großwärmepumpen werden über eine Rohrleitung und Wärmetauscher gespeist und ziehen die Temperatur von 30 Grad auf 80 Grad hoch. Danach muss noch eine etwa 50 Meter lange Strecke überbrückt und die Wärme in den Heizverteiler des Immobilienunternehmens eingespeist werden. Dadurch wird die sonst ungenutzt in die Umgebung abgegebene Abwärme wieder einem produktiven Verwendungszweck zugeführt. Darüber hinaus ist eine Abwärmenutzung für den Eigenbedarf von 18.000 Quadratmeter Büro- und Lagerflächen vorgesehen.

Fernwärmeleitung nicht vor 2030

Als sog. Bestandsrechenzentrum fällt das infrage kommende Datacenter nicht unter die Vorgaben des Energieeffizienzgesetzes (EnEFG). Das bedeutet, es besteht und bestand keinerlei Verpflichtung seitens des Betreibers, im vorgesehenen Ausmaß aktiv zu werden. Insbesondere um Fördermittel durch das Land Hessen zu generieren, musste aber der Zeitplan für dieses anspruchsvolle Pilotprojekt gegenüber früheren Verlautbarungen mehrfach nach hinten verschoben werden. Auch Pläne, die Abwärme des nach und nach bis auf elf Rechenzentren wachsenden Digital Park Fechenheim an das Fernwärmenetz der Mainova anzuschließen, liegen von Seiten des Versorgers zurzeit offenbar auf Eis. „Eine in der Nähe des Datacenters verlegte neue Fernwärmeleitung hätte das Potenzial, große Mengen nachhaltige Wärme oder Warmwasser in die Fernwärmeleitungen der Stadt Frankfurt am Main einzuspeisen“, bedauert der Finance Director.Aber selbst wenn der Deal noch zustande käme, rechnen Experten damit, dass eine neue Fernwärmeleitung nicht vor 2030 an den Start gehen könnte. Weißenbacher:„Nach unseren Erfahrungen dauert es mindestens 5 Jahre bis eine neue Fernwärmeleitung gebaut ist.“

Mindestens 252 Tonnen CO2-Einsparungen jährlich

Fakt ist jedoch: Durch die Pilotanlage am Digital Park Fechenheim wird die Abwärme aus einem der derzeit drei aktiven Data Centers auf dem Gelände schon bald einer produktiven Nutzung zugeführt und damit – im Gegensatz zu „Mogelpackungen“ in Form von Grünstromzertifikaten – jährlich eine echte CO₂-Reduktion von mindestens ca. 2,5 MW(th). erreicht. Die geplante Abwärmenutzung wird von Digital Realty auf ca. 1,6 MW(th) prognostiziert.

Bis der Termin für das schließlich stand, mussten jedoch eine Reihe an Gesprächen geführt und etliche Überzeugungsarbeit geleistet werden: „Kurz nachdem wir Anfang  2020 das ehemalige Neckermann-Gelände für den heutigen Digital Park Fechenheim gekauft haben, sind auch die ersten Gespräche mit unserem Verkäufer und heutigen Nachbarn OSWE über das Thema Abwärmenutzung gestartet“, berichtet der Manager von den Anfängen des Projekts. Mit erworben wurde nämlich ein denkmalgeschütztes Kesselhaus, das bislang die Wärmeversorgung auf dem Gelände über Gaskessel sicherstellte. Weißenbacher: „Klar war, dass im Zuge der anstehenden Bauarbeiten die vorhandenen Leitungen gekappt werden mussten. Damit stand unser Nachbar vor der Frage, wie er in Zukunft seine drei Bestandsgebäude für Büro, Einzelhandel und Logistik weiterhin beheizen soll.“ Schon bald darauf gab der Datacenter-Konzern eine erste Machbarkeitsstudie zum Thema Wärmepumpe in Auftrag und trat mit dem Immobilienunternehmen in erste Verhandlungen – im Wesentlichen nach dem Motto: „Wäre es nicht interessant, wenn wir eure Gebäude mit unserer Abwärme beheizen würden? Ihr hättet kein Heizproblem mehr und würdet gleichzeitig eine nachhaltige Lösung bekommen.“

Wärmelieferant oder Warmwasserlieferant?

Im Resultat wurde am Digitalpark Fechenheim ein fester Wärmeliefervertrag zwischen den Parteien abgeschlossen: Digital Realty veredelt die anfallende Abwärme selbst, tritt als Wärmelieferant auf und verkauft die Energie an den Kunden.

Bei ähnlichen oder zukünftigen Abwärmeprojekten in der Branche dürfte der Regelfall aber primär der eines Warmwasserlieferanten sein. In diesem Fall muss ein beauftragter Dienstleister oder der Kunde selbst das etwa 30 Grad warme Wasser über Großwärmepumpen auf ein verwendbares Temperaturniveau veredeln. Dieses Vorgehen realisiert Digital Realty selbst auch an seinem anderen Frankfurter Standort, dem heutigen Digital Park Ostend. Weißenbacher: „Für einen Rechenzentrumsbetreiber ist dieser Weg natürlich einfacher und mit geringeren Kosten verbunden, als sich mit dem gesamten Themenkomplex Abwärmenutzung inkl. Großwärmepumpen, Platz- und Strombedarf etc. auseinanderzusetzen.“

Der Colocation-Anbieter jedenfalls hat sich am Standort Digital Park Fechenheim in Übereinkunft mit dem benachbarten Immobilienunternehmen für die aufwendigere erste Variante als Wärmelieferant entschieden. Weißenbacher: „Der Kunde war nur bereit das Abwärmeprojekt mit uns als Wärmelieferant zu realisieren.“ Andernfalls hätten sie sich womöglich für eine neue Gasheizung entschieden, mutmaßt der Manager.

Förderung durch das Land Hessen

Für einen US-amerikanischer Rechenzentrumskonzern musste aber auch die Wirtschaftlichkeit des wegweisenden Frankfurter Nachhaltigkeitsprojekts gewährleistet sein. Weißenbacher berichtet: „Insgesamt haben wir uns über ein Jahr lang intensiv mit dem Thema Förderungsmöglichkeiten beschäftigt. Schon bald war klar: Ohne Unterstützung durch das Land Hessen oder den Bund wäre es nicht wirtschaftlich gewesen, ein so anspruchsvolles Projekt zu stemmen.“ Nachdem die Förderung durch das Land Hessen schließlich sichergestellt war, wurde direkt mit der konkreten Planung begonnen. Im Resultat wurden für das komplette Abwärmesystem des hier vorgestellten Pilotprojekts, angefangen bei der zuführenden Rohrleitung über den Wärmetauscher und drei Großwärmepumpen bis hin zur Rohrleitung zum Kunden, insgesamt 40 Prozent des geschätzten Kostenvoranschlags vom Land Hessen übernommen.

Sowohl Digital Realty als auch Telehouse Deutschland konnten bzw. können für die Umsetzung ihrer zukunftsträchtigen Abwärmeprojekte von den attraktiven Konditionen des sog. EFRE-Programm des Landes Hessen profitieren. Hinter diesem Kürzel verbergen sich primär europäische Fördermittel, die vom Land Hessen und auch anderen Bundesländern mit jeweils eigenen Förderprogrammen vergeben werden.

„Warum nicht jetzt schon einmal freiwillig beginnen und dabei lernen?“
Frank Weißenbacher, Finance Director DACH bei Digital Realty

Bei einer so großzügigen Förderung nachhaltiger Abwärmeprojekte verwundert es schon ein wenig, dass bislang nur so wenige Colocateure am Hotspot Frankfurt-Rhein-Main in puncto nachhaltige Abwärmenutzung aktiv geworden sind. „Die Branche wird in den kommenden Jahren gesetzlich verpflichtet sein, entsprechende Abwärmeprojekte aufzusetzen. Warum also nicht schon jetzt freiwillig beginnen und dabei lernen?“, fragt sich sicher nicht nur der Digital Realty-Manager.

„Sie benötigen im Unternehmen immer jemanden in leitender Position, der sich um Nachhaltigkeitsprojekte kümmert, sonst funktioniert es aus meiner Erfahrung heraus nicht“, weiß Weißenbacher. Um mit einem nachhaltigen Vorhaben dieser Größenordnung Erfolg zu haben, werden aber auch Ressourcen, erfahrene Projektleiter und Mitarbeitende benötigt. Auch die Verträge und der Business Case müssen sitzen usw. „Natürlich können die Datacenterbetreiber auch warten, bis es nicht mehr anders geht. In diesem Fall stehen aber womöglich die Kapazitäten und das benötigte Know-how, um solche Projekte auch wirklich stemmen zu können, nicht mehr ausreichend am Markt zur Verfügung“, gibt der Finance Director DACH bei Digital Realty abschließend zu bedenken.

Veröffentlicht auf: „Datacenter-insider“

© Harald Lutz 2025


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