BMW-Veränderungsprojekt:
Paradigmenwechsel in Produktion, Logistik und Vertrieb
Im Premium-Segment des Automobilbaus tätig zu sein heißt heute, eine hohe Variantenvielfalt und eine auftragsbezogene Fertigung zu beherrschen. Um diesen Anforderungen noch effizienter gerecht zu werden, etablierte die BMW Group über ein umfassendes, mehrjähriges Veränderungsprogramm den „Kundenorientierten Vertriebs- und Produktionsprozess (KOVP)“. Die gesamte Logistik für die Produktion und der Vertrieb wurden dabei von dem eines Massenherstellers auf ein hoch spezialisiertes, individuelles System umgestellt. Der „Build-to-Order“- Prozess mit KOVP ermöglicht nun ein sehr großes Maß an Änderungsflexibilität.
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Foto: BMW Group
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Individueller Produktions- und Fertigungsprozess.
Das Veränderungsprogramm KOVP zielt auf maximale Änderungsflexibilität, Schnelligkeit und hohe Termintreue. Das Veränderungsprogramm optimiert die gesamte Prozesskette von der Bestellung bis zur Auslieferung von Automobilen und Motorrädern und orientiert sich an den individuellen Wünschen. Seit der Einführung wird die lackierte Karosserie logistisch als internes Zulieferteil betrachtet. Die lackierten Karosserien werden dabei in einem Zwischenspeicher bereitgehalten und in den Montageprozess eingesteuert, sobald ein Auftrag für die entsprechende Karosserie vorliegt. Erst dann erfolgt mit der Fahrgestellnummer die Zuordnung eines Fahrzeugs zu einem individuellen Auftrag. Durch die verlagerte Individualisierung in die Montage ist es möglich, geänderte Wünsche bis kurz vor Montagestart zu berücksichtigen.
Kundenspezifische Fahrzeuge
„Heute konfiguriert sich jedermann sein Fahrzeug selbst, der Händler bestellt dieses online über das Internet und das kundenspezifische Fahrzeug wird unmittelbar im Produktionsprogramm eingeplant. Dann hat der Automobilfan noch bis sechs Arbeitstage vor Montagebeginn Gelegenheit, nahezu beliebige Änderungen in der Ausstattung vorzunehmen“, beschreibt Dr. Karl-Friedrich Koch, Leiter Motorenplanung bei BMW, den zwischen 1995 und 2003 vollzogenen Paradigmenwechsel. Die individuellen Aufträge gehen somit heute direkt zum Hersteller. Das löst einen Produktions- und Logistikprozess für jedes individuelle Fahrzeug aus. Koch: „Darin sehen wir auch einen Wettbewerbsvorteil, der nicht von heute auf morgen zu kopieren ist.“
Von den insgesamt sechs Arbeitstagen zwischen Fixierung der Order und des Beginns der Montage bekommt der Motorenprozess vier Tage zugestanden. Koch: „In dieser knappen Zeitspanne müssen wir den Motor einplanen, produzieren, transportieren und dem Fahrzeugwerk bereitstellen.“ Auf diese Weise fertigt BMW an seinen drei Motorenwerken in München, Steyr (Österreich) und Hams Hall (England) jährlich über eine Mio. Motoren. „Vor dem Start des KOVP-Projektes bis 1995 wurde auch bei uns nach einem festgelegten Programm gefertigt, das länger im Voraus geplant und immer wieder leicht modifiziert wurde“, erinnert sich Koch an längst vergangene Tage. Motivation, mit dem konzernweiten Veränderungsprogramm zu beginnen, waren gewandelte Konsumentenbedürfnisse an einen Premiumanbieter wie beispielsweise die Gewährleistung einer Vielzahl von Sonderausstattungen und oft kurzfristige Änderungswünsche. Koch: „Das führt schließlich zu einer großen Anzahl von Produktionsvarianten, die nicht mehr programmmäßig im Vorfeld planbar sind.“ Als eine zweite treibende Säule nennt der Leiter Motorenplanung das Thema Schnelligkeit. Das sei in vielen Ländern ein Entscheidungskriterium für oder gegen die eine oder andere Luxusfahrzeugvariante. Koch: „Wenn beide Anforderungen miteinander kombiniert werden, kommen Sie an einer „Build-to-Order“-Lösung mit KOVP nicht mehr vorbei“.
Bewusst auf Hochlohnstandorte setzen
Mit der schrittweise erfolgten Umstellung auf das neue Produktionsprinzip wurden die gesamten Prozesse im Konzern über ein umfassendes Prozess-Reengineering radikal verändert. „Die Vertriebs-, Logistik- und Produktionsprozesse der Organisation mussten von Grund auf neu aufgesetzt werden“, so der Leiter Motorenplanung. Darin eingeschlossen war auch die Anpassung der dahinter stehenden komplexen EDV-Systeme. Für die Optimierung des Materialflusses wird bei BMW auch das Kanban-Verfahren eingesetzt. Koch: „Wir haben sowohl die klassischen Kärtchen als auch E-Kanban im Einsatz, das mit unseren ERP-Systemen verknüpft ist.“ Die wichtigsten Meilensteine des Projekts: 1998 wurde das Online-Orderverfahren zuerst in der Handelsorganisation Deutschland eingeführt. Im November 2000 folgte Europa komplett. Im Jahr 2003 wurde KOVP mit der weltweiten Einführung erfolgreich abgeschlossen und vom Vorstand entlastet. Koch: „Natürlich gibt es immer weitere kleinere Vorhaben, zu verfeinern, zu verbessern, zu optimieren usw. Letztlich ist der KOVP-Prozess bei uns seit 2003 flächendeckend etabliert und wird jetzt evolutionär weiter entwickelt.“
Dabei setzen die Bayerischen Motorenwerke auch nach erfolgreichem „Build-to-Order“-Paradigmenwechsel bei der Fahrzeug- und Motorenproduktion weiterhin bewusst auf Hochlohnstandorte. Insbesondere drei zentrale Argumente werden genannt: „Entscheidend für uns ist, dass wir neue innovative Produkte schnell und sicher auf den Markt bringen können, mit einer hohen Qualität und Absicherung“, so der Leiter Motorenplanung. Neben dem „Time to Market“ gilt den Automobilbauern als zweites Argument die Qualität des Motors als ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. Koch: „Dieser Wettbewerbsvorteil lässt sich am besten immer noch in Deutschland, Österreich oder England herstellen.“ Last but not least müsse ein „Build-to-Order“-Prozess mit u.a. 4000 Motoren täglich operativ am Leben gehalten werden. Zentral sei hierfür auch die räumliche Nähe zur Fertigung und die Fähigkeit, eine solche Produktion im täglichen Betrieb zu gewährleisten.
Veröffentlicht in: „Produktion“ und „Deutsche Logistik-Zeitung (DVZ)“
© Harald Lutz 2005
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