hlkopf

 

 

Automobilindustrie:

„Komplette Fahrzeugdaten auch freien Werkstätten zur Verfügung stellen

Die Digitalisierung macht mit umfangreicher neuer Software- und Hardware- technologie wie künstlicher Intelligenz, Hightech-Diagnosetools und vor allem mit Unmengen von erhobenen Fahrzeugdaten auch vor den Automobilwerkstätten nicht halt. Rund 22.100 freie Werkstätten und 14.500 Vertragswerkstätten gibt es derzeit noch im Automobilland Deutschland. Erste Zwischenergebnisse des aktuell vom eco -Verband der Internetwirtschaft e.V. durchgeführten und im Rahmen der Gaia-X-Richtlinien vom Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium geförderten Forschungsprojekts „Autowerkstatt 4.0“ haben ergeben, dass vor allem in der Frage des freien Zuganges der heute von den Herstellern erhobenen Fahrzeugdaten die freien Automobilwerkstätten klar im Nachteil sind.

Fahrzeugdiagnose

Foto: eco-Verband

Fahrzeugdiagnose mit großen Datenmengen.

Die Kfz-Branche mit ihren rund 440 000 Beschäftigten insgesamt befindet sich mitten in einem Strukturwandel. Die Fahrzeuge haben sich in letzen 20 Jahren enorm weiterentwickelt und verändert: weg von ehemals primär elektromechanischen Produkten hin zu „rollenden Computern“ mit bis zu 15.000 Sensoren pro Pkw der Luxusklasse, der Etablierung der E-Mobilität mit einem völlig neuen Antriebsystem, dem Einzug von künstlicher Intelligenz auch in die Automobilwerkstätten und dem Aufkommen neuer Geschäftsmodelle wie der Plattformökonomie. Von dem akuten Fachkräftemangel einmal ganz zu schweigen.

„Eine besondere Herausforderung durch die Digitalisierung liegt für die Werkstätten heute – egal ob Verbrenner oder E-Antrieb – im Umgang mit den großen Datenmengen, die bei modernen Pkw aus den vielen Fahrzeugsensoren in allen Bereichen gewonnen, für Diagnosezwecke zusammengeführt und ausgewertet werden müssen“, sagt Juan Hahn, Gründer der unabhängigen Unternehmensberatung Hahn Network, Berlin. Diese Daten, auch mit dem konkreten Nutzungsverhalten der Fahrerin oder des Halters, sind beispielsweise für eine vorausschauende Fahrzeugwartung (Predictive Maintenance) notwendig, um frühzeitig auf mögliche Fehlerquellen und Gefahren zu reagieren. Heute erwarten Autofahrer und -fahrerinnen von der Werkstatt ihres Vertrauens mit Fug und Recht, dass sie auch dazu in der Lage ist, rechtzeitig zu erkennen, was unbedingt gewartet werden muss – und das auch schon vor der üblichen Zeit, wenn die Sensoren eine Schwachstelle aufgespürt haben.

Ein entscheidender Aspekt: Um diese Services auch umfänglich leisten zu können, benötigt die Werkstatt für ihre Diagnose zwingend die konkreten Fahrzeugdaten. Dafür muss sowohl der Fahrzeughersteller einen technischen Zugang ermöglichen als auch der Halter seine Freigabe erteilen. Hahn: „Wir brauchen eine Verlinkung zwischen dem Kunden, der Werkstatt und dem Hersteller.“

Vertragswerkstätten mit eindeutigem Wettbewerbsvorteil

Erste Zwischenergebnisse des auf insgesamt drei Jahre anberaumten Forschungsprojekts Autowerkstatt 4.0, mit dem primären Ziel, den freien Werkstätten ein KI-gestütztes Diagnosetool zur Verfügung zu stellen, haben nun ergeben: Die Vertragswerkstätten mit den Automobilherstellern im Rücken haben in puncto Datenzugang einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil am Markt, weil insbesondere die großen Marken den Datenzugang heute nur eingeschränkt mit anderen, etwa den freien Werkstätten, teilen.

Einzelne Marktteilnehmer bieten aber auch heute schon vor allem historische Referenzdaten auf dem freien Markt an. Hintergrund: Signale aus den Fahrzeugsensoren alleine sind ohne den Vergleich mit der entsprechen Historie oftmals nicht aussagefähig genug.

Cihan Dedeci, der Inhaber des mittelständischen Kfz-Meisterbetriebs Main Werkstatt in Hanau, einem von rund 500 an dem Forschungsprojekt beteiligten Kfz-Betrieben, präzisiert das Dilemma: „Im Großen und Ganzen kommen wir an die für die Reparatur aller Fahrzeuge notwendigen normalen Servicedaten gut heran.“ Dabei greift die freie Automobilwerkstatt mit dem Anspruch, alle gängigen Marken zu reparieren auf Software der Robert Bosch GmbH und Hella Gutmann Solutions GmbH zurück. Anders sieht es bei den sogenannten Ingenieursdaten aus. Auf diese, über Sensoren gewonnene Daten, in den Steuergeräten selbst haben freie Werkstätten und Service-Dienstleister heute meist noch keinen Zugriff.

Fahrzeuge auch weiterhin selbst diagnostizieren

Das sieht auch Benjamin Opitz, seines Zeichens Produktmanager Autoservice / digitale Services bei der Vergölst GmbH ähnlich: Generell kann heute zwar jede Werkstatt so gut wie alle Servicedaten am Markt irgendwie erwerben; den freien Werkstätten wird es aber nicht gerade einfach gemacht, die Fahrzeuge noch selbst zu diagnostizieren. Das aktuell populärste Beispiel hierfür ist das Security Gateway. Opitz präzisiert: „Eine freie Werkstatt muss sich erst beim Hersteller als Werkstatt autorisieren, um bei einen Fahrzeug etwas diagnostizieren bzw. schreiben zu können.“ Dafür benötigt man aber nicht nur eine einfache Anmeldung, sondern auch bestimmte Hardware, damit das Fahrzeug über die freie Werkstatt mit den Hersteller-Systemen kommunizieren kann. Und diese muss wiederum extra angeschafft werden.

Schlussendlich aber hat auch das herstellerunabhängige Werkstattnetzwerk unter dem Dach des Continental-Konzerns heute genau so wenig Zugang zu den sogenannten engeren Ingenieursdaten – z. B. die Auflösung einer BUS-Nachricht in einem BUS-System und deren Identifizierung oder über die Luftschnittstelle an die Hersteller übermittelten Meta-Daten – wie der Hanauer Familienbetrieb. Opitz: „Und genau diese Daten wären für präzise Fehlerdiagnosen wirklich interessant.“

Die Mehrheit der im Rahmen dieser Recherche befragten Experten würde daher den zeitnahen, uneingeschränkten Zugang zu allen von den Herstellern bislang noch gehüteten Datenschätzen auch für freie Werkstätten und unabhängige Kfz-Servicedienstleister begrüßen:

„Vor dem Hintergrund einer positiven Kundenerfahrung sollten die Hersteller ihre kompletten Fahrzeugdaten, einschließlich historischer Referenzdaten, auch freien Werkstätten zur Verfügung stellen, damit diese ihr Produkt in der angemessenen Qualität reparieren können“, sagt der Automotive-Analyst mit dem Schwerpunkt Business Developement, Juan Hahn.

Werkstattbesitzer Cihan Dedeci: „Das würde uns die Fehlersuche und den gesamten Informationsfluss ab der Kundenbeanstandung mit heute noch sehr vielen Fragen nach dem Wann, Wie und Wo des Auftretens der Störung sehr erleichtern.“

Last, but not least teilt auch der eco – Verband die Position, dass alle gewonnenen Daten aus den Fahrzeugsensoren bereitgestellt und geteilt werden sollen: „Das Projekt Autowerkstatt 4.0 zielt darauf ab, dass Unternehmen Fahrzeugdaten nutzen, miteinander teilen und die Auswertung in neue und innovative Geschäftsmodelle fließen lassen“, betont Andreas Weiss, Leiter Digitale Geschäftsmodelle beim eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. Das Projekt ist ein Use Case des europäischen Datenökosystems Gaia-X. Es basiert auf einer Infrastruktur, in der Daten frei zugänglich, sicher nach DSGVO-Standard und open source miteinander geteilt werden können. „Mit der Plattform Autowerkstatt 4.0 fördern wir die Datensouveränität von Werkstätten in Deutschland und Europa. Vor allem freie Werkstätten bekommen so einen Zugang zu Daten und Auswertungsmöglichkeiten, der ihnen bisher verwehrt bleibt und der das Potenzial hat ihre Arbeit zu verbessern“, so Weiss resümierend.
 

Zwischen Servicedaten und Ingenieursdaten unterscheiden

Beim Thema freier Datenzugang in der Automobilbranche unterscheiden die meisten der befragten Experten zwischen den Servicedaten, inkl. historischer Daten, im weitesten Sinne und sogenannten Ingenieursdaten aus den Fahrzeugsensoren und IT-Systemen selbst. Das europäische Recht sieht vor, dass auch die freien Werkstätten und unabhängigen Service-Dienstleister heute so gut wie alle Servicedaten am Markt erwerben können. Der Datenbezug wird aber den Herstellerunabhängigen nicht gerade einfach gemacht, die dafür meist auf teure Lizenzen von Datenzwischenhändlern oder auf spezielle Diagnosetools wie beispielsweise von der Robert Bosch GmbH oder Hella Gutmann Solutions GmbH zurückgreifen müssen.

Daten, auf die freie Werkstätten heute nur eingeschränkt oder gar keinen Zugang haben, sind die sog. Ingenieursdaten aus vielen der verbauten Fahrzeugsensoren. Als Beispiele hierfür werden u.a. von der Vergölst GmbH die Auflösung einer BUS-Nachricht in einem BUS-System und deren Identifizierung oder auch die Meta-Daten genannt, die über die Luftschnittstelle an die Hersteller übermittelt werden. Auch die Information über einen Service oder einen Fehlercode bekommen die großen Hersteller und mit ihnen die angeschlossenen Vertragswerkstätten exklusiv und haben damit bei der Reparatur und Wartung moderner Fahrzeuge einen ganz klaren Wettbewerbsvorteil am Markt. / H.L.

Veröffentlicht in:  „VDI-Nachrichten“

© Harald Lutz 2022
 


Datenschutzerklärung

Page Design by Schaffrina Design